Die Blankeneser Fischertracht
Vorab ein Stückchen Geschichte: Ende des 18. Jahrhunderts bekommt ganz Europa die Auswirkungen der französischen Revolution zu spüren. Wo vorher die Kleiderordnung „von oben herab“ befohlen wurde und strikt nach Ständen von Adel über Klerus und Bürgern bis zu den Bauern getrennt war, wurde Kleidung nun auch modeabhängig. In den Städten spürte man dies natürlich besonders, doch auch in der ärmeren Landbevölkerung entwickelte sich nun eine neue Kleiderordnung hin zur regionalen Volkstracht. Als „Tracht“ (von althochdt. traht(a), mittelniederdeutsch dracht: das, was getragen wird) gilt die ländlich-bäuerliche Bekleidung, die nicht nur die regionale Heimat aufzeigte, sondern durch – teilweise subtile – Farbgebungen auch den sozialen Rang, das Alter, den Familienstand oder den Stand der Trauerzeit in den verschiedenen Stadien. Die unterschiedlichen Formen der Tracht begleiteten also die Trägerin oder den Träger ihr/sein ganzes Leben lang (um das Jahr 1814 wurde übrigens der Aufruf laut, als Ausdruck des antifranzösischen Nationalbewusstseins eine einheitliche Nationaltracht zu schaffen; diese Idee setzte sich aber nicht durch). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Trachten dann auf Grund der beginnenden Mobilität und der plötzlich erfahrenen Nähe zu den Städten nicht mehr getragen und starben teilweise ganz aus.
Wir Tänzerinnen und Tänzer des Ring für Heimattanz e.V. tragen bei Tanzfesten und Auftritten die Blankeneser Fischertracht, wie sie um 1830 getragen wurde.
Jeder schneidert sich seine Tracht nach historischem Vorbild selbst, so kann sich auch jeder aussuchen, ob er die Alltags-, die Sonntags- oder die Festtagstracht tragen möchte. Mancher hat natürlich auch mehrere Trachten – nach wie vor eine Sache des Geldbeutels.
Unsere Recherche im Jahre 1978, als wir beschlossen hatten unsere Tanzkleider gegen „richtige“ Trachten einzutauschen, führte uns auch in das Altonaer Museum, denn es sollte ja natürlich eine Hamburger Tracht sein. Dort entdeckten wir historische Originalteile der Blankeneser Fischertracht, und da zu dem Zeitpunkt niemand sonst diese Trachten trug, haben wir uns hierfür entschieden. Außer dem Altonaer Museum haben wir, unter der Leitung von Anne Waszkewitz, diverse Bücher und Schriften durchforstet und Frau Soltkahn vom Altonaer Museum immer wieder durchlöchert, um Details über „unsere“ Tracht herauszufinden.
Und so bestehen unsere Trachten, wie unseres Wissens auch um das Jahr 1830, aus folgenden Teilen:
Die Alltagstracht.
Diese musste sehr praktisch sein, die Fischerinnen und Fischer trugen sie ja zur Arbeit - und wenn man schon Fische in der Schürze transportiert, muss diese sehr pflegeleicht sein. Zu einem wadenlangen roten Wollrock mit hellgrünem Abschlussstreifen wurden also eine weiße Bluse mit weiten, einmal umgeschlagenen Ärmeln und eine weiße Schürze aus Leinen oder Baumwolle getragen, die man auskochen und in der Sonne bleichen konnte. Über der Bluse trug man ein Leibchen (den „Kragen“) aus geblümtem Baumwollstoff sowie ein Baumwoll-Brusttuch. Zur Tracht gehörte natürlich auch eine Haube, die aber auch aus „einfachem“ Baumwollstoff gefertigt war und nur eine einfache Gold- oder Silberborte trug. An heißen Sommertagen band man einen tellerrunden Strohhut auf die Haube, um etwas Schutz vor der Sonne zu haben.
Die Sonntagstracht.
Zum Kirchgang trug man natürlich eine aufwändigere Tracht. Diese bestand aus einem knöchellangen, schweren dunkelblauen Wollrock und einer aufwändig genähten Jacke mit Schößchen aus dem gleichen Stoff. Unter der Jacke lugte ein Leibchen aus Brokat mit Goldborte hervor, darüber trug man ein Brusttuch aus Baumwoll-Voilé. Die Schürze war handgewebt mit Streifen, darüber band man sich noch ein farblich passendes Liefband („Leibband“). Auch die Haube bestand aus feinem Brokatstoff, die waschbare Unterhaube aus weißem Baumwollstoff mit Spitzenrand. Besonders wichtig waren die Silberknöpfe an den Jackenärmeln, die jedermann den Reichtum der Trägerin deutlich machen sollten.
Die Festtagstracht.
Zu besonderen Festtagen trug man eine „aufgemotzte“ Form der Sonntagstracht. Jacke und Rock waren aus handgewebtem Wollstoff, dezent gemustert. Das Brusttuch aus weißem Baumwoll-Voilé war mit Spitze besetzt. Die Schürze war natürlich auch handgewebt mit bunten Seidenstreifen und die Haube war aus Seidenbrokat.
Natürlich gab es noch viele Einzelstücke, die an ganz bestimmten Tagen getragen wurden. So wurde z.B. die Festtagstracht mit weißem Brusttuch und weißer Schürze nur am Tage der Hochzeit getragen, zusammen, wenn es der Geldbeutel erlaubt, mit einer hohen Hochzeitskrone aus Silberdraht.
Auf die Unterwäsche wurde weniger Wert gelegt. Ein schlichter weißer Unterrock oder eine knielange Unterhose gehörten bei den Frauen zur Tracht. Diese sind für uns heutzutage ganz besonders wichtig, da man sonst beim Tanzen wahrscheinlich deutlichen „Zug“ verspüren würde. Ein knielanges Nachthemd diente übrigens an kalten Tagen auch tagsüber gern als Hemd „unten drunter“.
Die Männer hatten es damals wesentlich einfacher. Sie trugen ein weißes Leinenhemd mit silbernen Manschettenknöpfen und einer Halsschließe aus zwei Silberknöpfen, um den Hals ein buntes Baumwolltuch (das, an jeder Ecke mit einem Knoten versehen, auch als Sonnenschutz dienen konnte), eine schwarze Kniehose aus Samt – hinten mit einem Regulierband und vorne an der Klappe mit zwei Reihen silberner Knöpfe. Dazu gestrickte weiße Wollstrümpfe. Für die verschiedenen Anlässe wechselten sie lediglich ihre Westen, die im Alltag aus geblümter Baumwolle, an den Sonntagen aus Brokat und an den Festtagen aus gestreifter Seide bestanden. Zu alledem trugen sie einen braunen Filzhut, außer wenn sie an Feiertagen einen Frack („den „Bratenrock“) überzogen, dann setzten sie natürlich ihren Zylinder auf. Auch bei den Männern waren die Silberknöpfe Statussymbol. Es mussten so viele wie möglich an die Weste – natürlich nur an den Sonn- und Feiertagen. Die Alltagswesten hatten Knöpfe, die mit handbesticktem Stoff überzogen waren.
Die Schuhe, die alle an Sonn- und Feiertagen trugen, waren schwarz und hatten, je nach Status, mehr oder minder große und natürlich silberne Schnallen.
Genauso gehörten für die Frauen zu allen Trachten die blauen Kniestrümpfe.
Ganz entscheidend für den Stand eines jeden Trachtenträgers war der Schmuck. Die Silberknöpfe wurden ja schon erwähnt, aber natürlich schmückten sich die Frauen an Sonn- und Feiertagen auch gerne mit ihrem Silber- und Granatschmuck. Wichtig dabei waren das silberne geschmiedete „Hartje“ an der Brust, sowie der eng anliegende Halsschmuck aus Granatperlen, der aus möglichst vielen Reihen der teuren Perlen bestehen sollte, mit der vergoldeten Schließe.
Eine Haube wurde von den Frauen der ländlichen Bevölkerung stets als Symbol der häuslichen Gebundenheit getragen, manchmal auch innerhalb des Hauses.
Wir haben versucht, unsere Trachten so originalgetreu wie möglich zu schneidern. Manchmal fällt uns dies schwer, denn es kostet viel Mühe, einen Weber zu finden, der noch handgewebte Stoffe macht. Oder einen Goldschmied, der uns die Knöpfe oder die Hartjes schmieden kann. Aber wir sehen dies natürlich auch als Herausforderung. Haben wir dann mal wieder ein neues Teil für unsere Trachten, sind wir umso stolzer darauf. Und natürlich freuen wir uns immer wieder, wenn Originalteile aus Blankenese in unseren Reihen auftauchen. Dies ist sehr selten, daher werden sie in Ehren gehalten. Durch die veränderte Körperstatur im Laufe der Jahre passen uns diese Originalteile leider selten, aber sie sind uns eine ganz wunderbare Vorlage zum Nachschneidern.
In unserem Kindertanzkreis Falkenberg haben wir übrigens einen gut gefüllten Fundus an Kindertrachten, so dass nicht jeder gleich etwas schneidern muss, wenn er zum Tanzen kommen möchte.
Corinna Bienger